Bitte nicht nachmachen

Ein Jungakademiker wird noch vor seinem Abschluss von einem Finanzdienstleiter kontaktiert. So erhalte jeder Absolvent der Hochschule das Angebot über kostenlose Informationsgespräche zu Versicherungs- und Finanzthemen, heißt es im ersten Telefonat. Es werden die ersten Eckdaten aufgenommen und dem Jungakademiker eine massive Rentenlücke vorgerechnet. Um diese zu schließen ist der Jungakademiker bereit, sein Gehalt aus einem Minijob zu investieren. Der Finanzdienstleister erstellt daraufhin einen Vorschlag für eine fondsgebundene Rentenversicherung, die auf den ersten Blick ziemlich gut aussieht:

  • Innerhalb des Versicherungsmantels wird in relativ sinnvolle und kostengünstige ETFs investiert
  • In den Hochrechnungen werden mittlere 6-stellige Ablaufleistungen gezeigt
  • In den Anbieterrankings ist der gewählte Anbieter auf Platz 1
  • Alle Unterlagen sind sehr hochwertig und vertrauenserweckend

Setzt der Jungakademiker seine Unterschrift unter diesen Vertrag, dann macht er folgende Fehler:

  1. Keine Hinterfragung der Motivation des Gegenübers
    "Kostenlose Information" klingt einfach zu verlockend. Es geht hier um nichts anderes als Kaltakquise von Kunden, die perspektivisch ein gutes Einkommen haben und idealerweise noch keine Finanzprodukte besitzen.
  2. Keine Hinterfragung der Produktauswahl
    Beratungsqualität wird oft mit "wir haben die besten Finanzprodukte" gleichgesetzt. In diesem Fall war Platz 1 auf dem Produktrating "zufällig" ein Produkt der Tochergesellschaft
  3. Keine Kostentransparenz
    In dem Vertrag stecken rund 30.000 € (!) an Kosten und das obwohl in eigentlich kostengünstige ETFs investiert wird. Alleine die Abschlusskosten, die der Vermittler erhält, betragen rund 8.000 €.
  4. Keine Überlegung hinsichtlich möglicher Alternativen
    Der Mehrwert der Versicherung ist überschaubar. Gewisse positive Steuereffekte, aber das Anlagerisiko komplett beim Kunden. Dem gegenüber steht eine massive Kostenstruktur. Eine alternative Anlage in ein eigenes Depot würde dem Jungakadmiker bei Renteneintritt ein höheres Vermögen von rund 100 T€ (nach allen Kosten) bescheren.

 

In diesem Fall ist der Jungakademiker noch mal von der Schippe gesprungen und hat mit einer Unterschrift nicht direkt einen Mittelklassewagen versenkt. In diesem Prozess haben sich ein paar Denkanstöße ergeben, die den Jungakademiker auch für die Zukunft unempfindlicher gegenüber Produktverkäufern machen wird:

  1. Mit kostenlosen Informationsveranstaltungen v.a. an Hochschulen wird einfach nur Kaltakquise von Kunden betrieben
  2. Es besteht ein massiver finanzieller Anreiz für den Vermittler für den erfolgreichen Vertrieb von Finanzprodukten
  3. Der Kunde bezahlt nicht etwa ein Eintrittsgeld für ein geniales Finanzprodukt, sondern der Vermittler erhält das Geld, da er es geschafft hat das Produkt an den Mann oder die Frau zu bringen
  4. Auch wenn Dinge auf den ersten Blick gut aussehen, lohnt sich ein zweiter Blick. Insb. gibt es in vielen Fällen kosteneffiziente und sinnvolle Finanzprodukte, die nicht einen kompletten Vertriebsapparat mitfinanzieren müssen

 

Das Schmankerl zum Schluss, der Jungakademiker, dem eine massive Rentenlücke berechnet wurde, schlägt gerade den Weg in Richtung Beamtenlaufbahn und damit in Richtung einer eher überdurchschnittlichen Pension ein. Warum am Ende der Beratung der Vorschlag für eine fondsgebundene Rentenversicherung steht, kann ich mir nur über den finanziellen Anreiz des Vermittlers erklären. Für den Jungakademiker wären andere Überlegungen deutlich effektiver gewesen (z.B. Positionierung für Immobilienerwerb und Aufbau von Rücklagen oder Investition am Kapitalmarkt).

Hier kann ich nur wieder eine Erkenntnis, die ich schon in einem Vortrag vor einer Gruppe von Doktoranden ausgearbeitet hatte, wiederholen: Der (Un-)Sinn eines Finanzproduktes ergibt sich aus dem Produkt selbst und Eurer persönlichen Situation

 (Un-)Sinn eines Finanzproduktes


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