Volkskrankheit Finanzen

Volkskrankheit Finanzen

Oft ist es hilfreich, schwer verständliche Themen anhand eines leichter verdaulichen Beispiels zu betrachten. Nehmen wir also einmal an, dass Ihre Finanzthemen eine Krankheit sind, die es zu therapieren und heilen gilt. Sie sind der Patient, die Finanzberater nehmen die Rolle der Ärzte ein und die Finanzprodukte sind entsprechend die Medikamente.

Es lohnt sich zwischen den folgenden drei Begriffen zu unterscheiden.

  1. Symptome: sichbare oder spürbare Auswirkungen (z.B. Schmerzen im Unterarm)
  2. Ursachen: eigentlicher Grund für die Symptome (z.B. Reizung Sehne durch Überbeanspruchung)
  3. Therapie: Ansatz, um Symptome und/oder Ursachen zu beseitigen

Es ist offensichtlich, dass eine Therapie, die sich ausschließlich auf die Symptome konzentriert, keinen nachhaltigen Erfolg erzielen wird.

Die Patienten

Bevor wir auf die Krankheit näher eingehen, stellen wir uns bitte einmal kurz den folgenden Patienten vor:

  • Single, Paar oder mit Kindern
  • Erwerbstätig als Angestellter, Beamter oder Selbstständig
  • Hat Hobbys und übt ggf. Ehrenämter aus
  • Wohnt zur Miete oder im Eigenheim
  • Lebt in einem gewissen gesellschaftlichen Umfeld und Freundeskreis
  • Kann sich einen gewissen Lebensstandard leisten (Urlaub, Auto, usw.)
  • Erfreut sich einer gewissen Gesundheit und Intelligenz
  • Dem ganzen Leben liegen gewisse Werte zugrunde
  • In einem Schrank liegen die Finanzordner mit
    • Lohnzettel
    • Rentenansprüche
    • Versicherungen
    • Darlehen
    • Immobilien
    • Wertpapiere
    • Uvm.

Diese Beschreibung trifft dann auch so ziemlich auf jeden zu.

Die Symptome

Bei der Volkskrankheit Finanzen treten erfahrungsgemäß folgende Symptome zu Tage:

  1. Ungutes Gefühl beim Blick auf die Finanzordner
  2. Wichtige Entscheidungen nicht treffen können
  3. Offensichtliche Reibungsverluste

ad 1. Ungutes Gefühl mit Blick auf die Finanzordner

Beim Blick auf die Finanzordner stellt sich ein ungutes Gefühl in der Magengegend ein. Dies resultiert aus einer fehlenden Transparenz bzgl. der eigenen finanziellen Situation. Einzelne Teile sind noch relativ gut greifbar, wie z.B. die Höhe des Notgroschens auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto oder auch die aktuelle Einnahmen-/Ausgabensituation. Um die eigene Situation aber vollständig greifen zu können, fehlen oft wesentliche Teile:

  • Welche Werte wurden in den Vorsorgeprodukten bereits angespart, wie hoch ist die Ablaufleistung, was davon ist garantiert, was davon lediglich hochgerechnet?
  • Wie stellt sich die Einkommenssituation in der Ruhephase dar, was davon muss wie versteuert werden, auf was bezahle ich wie viel Krankenversicherung, wie hoch ist die Kaufkraft nach Inflation?
  • Wird aktuell zu viel oder zu wenig Vorsorge betrieben?
  • Wie stellt sich die Situation bei extremen Ereignissen wie Tod, langer Krankheit oder dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit dar?

Das ungute Gefühl tritt insbesondere dann auf, wenn Jahresmitteilungen entweder nicht verstanden werden oder die versprochene Entwicklung einfach nicht eintreten will.

 

ad 2. Wichtige Entscheidungen nicht treffen können

Bei (fast) allen wichtigen Entscheidungen spielt Geld eine Rolle. Dummerweise fehlt schon die Transparenz bzgl. der eigenen finanziellen Situation für den aktuellen Status-quo (siehe Punkt 1). Wie sollen die zusätzlichen, finanziellen Auswirkungen von strukturellen Änderungen dann überhaupt gegriffen werden können? Umöglich! Das Ergebnis ist Orientierungslosigkeit und wichtige Entscheidungen können nicht getroffen werden. Beispiele für solche strukturellen Änderungen sind:

  • Berufswechsel mit einer gewissen Einkommensreduktion
  • Schritt in die Selbstständigkeit
  • Kauf von Immobilien, Abschluss von langlaufenden Rentenverträgen, ...
  • Illiquides Vermögen aus Erbschaft behalten oder veräußern
  • Verlängerung der Elternzeit auf eigene Kosten
  • Annahme von Abfindungsangeboten
  • Und viele mehr

 

ad 3. Offensichtliche Reibungsverluste

Strukturelle Fehler in der eigenen finanziellen Positionierung führen zu unerwünschten Nebenwirkungen. Im Extremfall werden dadurch Reibungsverluste produziert, die sich negativ auf alle Lebensbereiche auswirken. Beispiele sind:

  • Für das Eigenheim werden alle Ersparnisse eingebracht und der maximale Kreditrahmen ausgeschöpft. Jede unerwartete Ausgabe wird nun zum Problem. Die Rückzahlung der Schulden dominiert alle Entscheidungen. Urlaube werden gestrichen. Unzufriedenheiten im Job müssen akzeptiert werden, da man auf das Einkommen angewiesen ist.
  • Aus Angst vor Investitionen weiß man nicht wohin mit dem monatlichen Überschuss. Das Tagesgeldkonto läuft langsam über. Eigentlich nicht notwendige Konsumausgaben werden getätigt und der Lebensstandard hochgezogen.
  • Im vollen Vertrauen zu den Finanzexperten werden zahlreiche Vorsorgeverträge abgeschlossen. Die laufenden Belastungen nehmen den Handlungsspielraum.
  • Es wird an illiquidem Vermögen festgehalten (z.B. Werkstatt vom Vater), obwohl die laufenden Unterhaltskosten die Einnahmen übersteigen. Aus emotionalen Gründen verschlechtert man Schritt für Schritt seine finanzielle Situation.
  • Und viele mehr

Die Ursachen

Wie ist es möglich, dass so viele Menschen unter der Volkskrankheit Finanzen leiden? Es kann nicht an dem einzelnen liegen, sondern es muss strukturelle Ursachen haben.

Im folgenden beschreibe die acht Ursachen, die aus meiner Sicht diese Volkskrankheit auslösen.

  1. Komplexität von Finanzthemen
    Finanzthemen sind komplex und manches sieht zwar heute schön aus, erweist sich aber im Zeitablauf als Bumerang.
  2. Hoher Druck von außen
    "Die Altersarmut kommt", "der größte Crash aller Zeiten", usw. Medien, Finanzvertriebler und Crash-Propheten leben von Ihrer Verunsicherung.
  3. Provisionsgetriebener Produktvertrieb
    Die meisten Finanzvertriebler verdienen nur Geld, wenn sie am Ende ein Produkt verkaufen.
  4. Niedrige Eintrittshürden für Finanzberater
    Einige Wochen Selbststudium und eine gewisse Allgemeinbildung reicht für den Eintritt als Finanzberater schon aus.
  5. Produktspezifische Erlaubnis für Finanzberater
    Je Produktkategorie (z.B. Versicherungen, Investmentfonds) benötigt ein Finanzberater eine Erlaubnis. Wirklich klar ist das aber den wenigsten Verbrauchern (siehe auch meinen Fachartikel Kenne Deinen Finanzberater).
  6. Fehlendes Wissen und Motivation der Patienten
    Sich um seine Finanzthemen zu kümmern steht in der "Will ich machen"-Liste recht weit unten.
  7. Jeder lebt in seiner eigenen Welt
    „Schulden sind schlecht“, „mit Aktien verliert man Geld“, „Geld verdirbt den Charakter“. Jeder hat beim Thema Geld anerzogene oder erlernte Denkmuster, die uns oft genug die Fakten recht verzerrt wahrnehmen lassen.
  8. Geld als Tauschmittel
    Geld kann für verschiedenste Zwecke eingesetzt werden. Dadurch entsteht eine laufende Abwägung und Verdrängung.

 

Die Therapie

Betrachten wir die Symptome und Ursachen der Volkskrankheit Finanzen, dann wird schnell klar, dass folgende Ansätze sehr wahrscheinlich nicht funktionieren werden:

  1. Der Finanzberater kommt mit dem Bauchladen an Produkten zu Ihnen und es wird geschaut, welches davon am ehesten Ihre Symptome beheben könnte. Die Ursachen für Ihre Symptome spielen dabei keine Rolle.
  2. Sie kümmern sich jetzt einmal - dafür aber richtig - um Ihre Finanzthemen und möchten das Thema damit endlich erledigt haben. Das ist ungefähr so aussichtsreich wie einmal richtig Sport zu machen, um den Rest seines Lebens gesund zu sein.
  3. Sie kümmern sich nicht selbst um Ihre Finanzthemen, sondern vertrauen einfach jemand anderes. Kann funktionieren, birgt aber nicht zu unterschätzende Risiken.
  4. Ihre Wunschvorstellung eines Finanzproduktes ist folgende: steuerlich gefördert, flexible Einzahlung und Entnahme, hohe Rendite, hohe Sicherheit, insolvenzgeschützt, leicht verständlich, geringe Kosten, sichert wichtige Risiken ab, usw.. Wie realitätsfern diese Vorstellung ist, sehen Sie, wenn sie dieses Denken auf den Kauf Ihres nächsten Autos übertragen. Sie machen sich einfach keine Gedanken für was Sie das Auto benötigen, sondern packen einfach alles mit rein was gut klingt: viel PS, Anhängerkupplung, viele Sitzplätze, Schlafmöglichkeit, geländegängig, hohe Beschleunigung, wenig Verbrauch, günstig in Anschaffung und Unterhalt, usw. Glauben Sie, dass es ein Auto gibt, dass alle Vorteile vereint? Warum sollte das bei Finanzprodukten anders sein?
  5. Weitere Ideen?

Wie aus meiner Sicht eine sinnvolle Therapie aussieht, fasse ich in einem der nächsten Fachartikel zusammen.

Fazit

Stellen Sie sich bitte einmal folgendes ernsthaft vor:

Ärzte bekommen nach wenigen Wochen Selbststudium die Zulassung. Die Zulassung wird je Medikamentengruppe (z.B. Schmerzmittel) erteilt und nur diese darf der Arzt verschreiben. Welcher Arzt für welche Medikamentengruppe die Zulassung hat, ist für den Patienten nur schwer verständlich. Die Ärzte werden von den Medikamentenherstellern bezahlt und diese ist erfolgsabhängig. Nur wenn Medikamente an den Mann bzw. die Frau gebracht werden, dann erhält der Arzt dafür eine Vergütung.

Was würde das für Sie als Patienten bedeuten? Eine absurde Vorstellung? Bei Ihren Finanzthemen finden Sie genau diese Rahmenbedingungen vor.


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