Bitte nicht nachmachen

Eine junge Zahnärztin möchte den Schritt in die Selbstständigkeit gehen und wird durch eine Finanzberatung, die sich auf Ärzte fokussiert und diese schon während der Ausbildung umgarnt, beraten. Der Vorschlag lässt sich in vier Blöcke unterteilen:

  1. Übernahme Praxis + Erwerb von zwei Eigentumswohnungen im gleichen Haus für potenzielle Praxiserweiterungen
  2. Kreditaufnahme, um die drei Objekte (Praxis + 2 ETWs) finanzieren zu können. Die Kredite sollen nicht getilgt werden, sondern anstelle der Tilgung soll das Geld in Altersvorsorgeverträge fließen (siehe 3.)
  3. Abschluss von Altersvorsorgeverträgen, um damit parallel Vermögen aufzubauen und perspektivisch die Kredite ablösen zu können
  4. Als Sicherheit wird alles genommen, was da ist (Grundschuld auf Immobilie, Praxisinhalt, Forderungen gegenüber Patienten, private Haftung)

Die größten Fehler, die die junge Zahnärztin gemacht hat, sind:

  • Keine eigenständige Bewertung der Praxis
  • Zu hohe Belastung aus den Krediten und den Altersvorsorgeverträgen
  • Keine Beachtung von möglichen Interessenskonflikten des Finanzberaters
  • Maximaler Verzicht auf die eigene Flexibilität

 

Keine eigenständige Bewertung der Praxis

Der "faire" Preis der Praxis lässt sich in der Theorie über Angebot und Nachfrage bestimmen. Wenn Sie sich nur ein Angebot einholen und den angebotenen Preis bezahlen, dann müssen Sie schon recht viel Glück haben, um hier nicht viel zu viel zu bezahlen. Die Krux ist, jeder Euro, den Sie zu viel bezahlen, vernichtet unmittelbar Ihr Vermögen. Wenn Sie 200 T€ für eine Praxis bezahlen, die aber nur 150 T€ wert ist, resultiert dies in einer unmittelbaren Wertvernichtung von 50 T€. Dies wird insbesondere dann ein Problem, wenn Sie danach noch mal einen zusätzlichen Kredit benötigen (z.B. Modernisierung Lüftung). Die Bank schaut sich Ihre Situation an und sagt: "Keine ausreichenden Sicherheiten".

Vergleichen Sie mehrere Angebote, sprechen Sie mit anderen Ärzten, lassen Sie sich die Investitionen der letzten Jahre und den Verdienst aus der Praxis zeigen, usw. Wenig Aufwand große Wirkung.

 

Zu hohe Belastung aus den Krediten und den Altersvorsorgeverträgen

Normalerweise bezahlt man als Kreditnehmer Zins und Tilgung. In dem Konstrukt der Zahnärztin wird anstelle einer Tilgung in Altersvorsorgeverträge einbezahlt. In Summe haben sich diese Belastungen bei Ihr auf über 3.000 € pro Monat aufsummiert. Das muss man insbesondere am Anfang erst mal übrig haben.

Machen Sie sich wirklich klar, was Sie finanziell schultern können. Insbesondere müssen Sie nicht alles gleichzeitig angehen. Die Altersvorsorge muss nicht parallel zum Praxiskauf aufgebaut werden, sondern vielleicht erst wenn die Praxis in einem eingeschwungenen Zustand ist und sich Freiräume ergeben.

 

Keine Beachtung von möglichen Interessenskonflikten des Finanzberaters

Jeder Dienstleister muss am Ende des Tages Geld verdienen, ansonsten kann er sein Geschäft aufgeben. Im Finanzbereich sind die Kosten oft nicht transparent und die Verbraucher scheuen sich aktiv nachzufragen. In dem konkreten Fall dürften sich die Kosten der Beratung in der Größenordnung 50 - 150 T€ bewegt haben. Die größten Blöcke sind:

  • Altersvorsorgeverträge: hier bezahlt die Ärztin ca. 28.000 € Beiträge pro Jahr. Bei einer Laufzeit von 30 Jahren sind das knapp 900 T€. Davon werden gerne bis zu 4% Abschlusspovisionen genommen.
  • Immobilien: im Immobilienbereich liegen die Vertriebspovisionen im Bereich 5-20% des Immobilienwerts
  • Kredite: ca. 1% der Darlehenssumme
  • Praxisvermittlung: entzieht sich meiner Kenntnis, da ich da nicht tätig bin. Ist es vorstellbar, dass der verkaufende Arzt sagt "Ich möchte 150 T€ haben" und der Finanzberater sagt "Ich verkaufe die Praxis für 200 T€ und wir machen den Gewinn halb/halb"? In meiner Denkwelt auf jeden Fall.

Sie sehen, dass das ganze Konstrukt durchzogen ist von Kosten. Mit jeder Unterschrift unter die Verträge hat sich die Ärztin mehr überschuldet, da die Kosten erst mal Ihr Vermögen vernichten.

Fragen Sie nach, lesen Sie die Unterlagen. Wenn jemand mit einer Beratung so viel Geld verdienen kann, dann machen Sie sich klar, dass Sie derjenige sind, der das am Ende bezahlen muss.

 

Maximaler Verzicht auf die eigene Flexibilität

Das Konstrukt hat der Ärztin die Luft zum Atmen und damit jede Handlungsmöglichkeit genommen. Die wichtigsten Einschnitte waren:

  • Hohe monatliche Belastungen führen dazu, dass regelmäßig das Geld zum Leben fehlt
  • Eine Nachfinanzierung für die Praxiserweiterung wurde von der Bank abgelehnt, da nichts schriftlich vereinbart war
  • Eine Reduktion der Beiträge in die Altersvorsorgeprodukte ist nicht möglich, da diese als Sicherheit abgetreten sind und die Bank hätte zustimmen müssen
  • Eine andere Bank winkt ab, da die Ärztin aufgrund der Kosten schon überschuldet ist

Die eigene Handlungsfähigkeit ist ein wertvolles Gut und sollte nicht ohne Not aus der Hand gegeben werden. Halten Sie die Belastungen gering, lassen Sie sich Optionen schriftlich zusichern und denken Sie auch mal in Stressszenarien.

 

Gerne würde ich am Ende sagen, dass wir zusammen wieder alles ins Lot bringen konnten. Dem ist leider nicht so. Das Kind war schon zu tief in den Brunnen gefallen. Die Bank zeigte sich null kooperativ. Der Finanzberater, der das ganze Konstrukt an die Ärztin gebracht hat, ist auf dem Sprung in den Ruhestand und hat auskunftsgemäß alles richtig gemacht. Das Ganze wird noch mal gerichtlich aufgearbeitet, aber die Selbstständigkeit der Ärztin ist nach drei Jahren Spießrutenlauf erst mal beendet.

 

 


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